Kahmer Septett

Constantin Krahmer Septett

„Visions Fugitives“

VÖ-Datum: 28.03.2025

Ein Klavier setzt sich mit hintergründiger Vehemenz im Ohr fest. Nach und nach gesellen sich andere Instrumente hinzu und definieren ihre jeweils unverwechselbare Klangfarbe, die sie für den Rest des Albums beibehalten. Der in Rostock lebende Pianist Constantin Krahmer ist nicht nur Komponist, Arrangeur und Bandleader, sondern entpuppt sich auf Visions Fugitives auch als gewiefter Klangmaler.

(english version incl.) Die Stücke des Albums setzen sich zu einer Suite von einer Farbintensität zusammen, die man so selten mit dem sehenden Ohr gehört hat. Die Farbtöne bleiben über das ganze Album hinweg gleich, nur der Pinselstrich, die Kontraste und die Dichte des Farbauftrags wechseln von Stück zu Stück. Mal wirkt es wie ein Joan Miró mit ganz klaren, voneinander abgegrenzten Farbflächen, mal wie ein Georges Seurat, der sich aus einem Meer von flirrenden Lichtpunkten zusammensetzt, und mal wie ein William Turner, bei dem die Farben osmotisch ineinander verlaufen.

Um diesen synästhetischen Effekt zu erzielen, rief Krahmer ein siebenköpfiges Kollektiv von Musikerpersönlichkeiten auf den Plan, die ausnahmslos für ein stark ausformuliertes individuelles Idiom stehen. Außer Krahmer, dessen konturierter Akzent sich schon in den ersten Tönen des Albums offenbart, gehören dem Septett Flötist Michael Heupel, Altsaxofonistin Luise Volkmann, Saxofonist und Klarinettist Sebastian Gille, Posaunist Johannes Lauer, Gitarrist Bertram Burkert und Schlagzeuger Leif Berger an. Die Stücke sind präzise auskomponiert und gleichzeitig konkret auf die jeweiligen Beteiligten zugeschnitten. Trotzdem hat sich im Prozess des gemeinsamen Musizierens noch einmal Vieles neu ergeben. Gerade weil alle Mitwirkenden eine ausgeprägte Persönlichkeit mitbringen, fand jede und jeder während der zweitägigen Proben, eines anschließenden Konzerts und der finalen zweitägigen Aufnahmesession genau den Platz und die Lücke, die Sinn ergeben, ja geradezu zwingend erscheinen. „Mir macht es großen Spaß, schon beim Schreiben die jeweilige Klangfarbe der Musizierenden im Kopf zu haben“, konstatiert Krahmer mit einem vergnügten Lächeln.

Das Septett setzt sich aus Größen der deutschen Jazzszene zusammen, mit denen Krahmer entweder schon lange persönlich verbunden ist, oder mit denen er bereits seit geraumer Zeit zusammenspielen wollte. Mit Schlagzeuger Leif Berger hat der Pianist mehrere Alben aufgenommen. Er nennt ihn unumwunden seinen Lieblingsschlagzeuger. Auch mit Luise Volkmann, Sebastian Gille und Michael Heupel stand Krahmer schon auf der Bühne oder im Studio. Mit Johannes Lauer und Bertram Burkert hat er hingegen noch nie gearbeitet, doch er schätzt ihre expressive Spielweise derart, dass er sie in das Projekt unbedingt einbeziehen wollte. Aus den unmittelbaren Beziehungen mit den jeweiligen Musikerinnen und Musikern ergibt sich ein entsprechendes Wechselspiel von Vertrautem und Riskantem, das sich durch das komplette Album zieht. Erfülltes und Unerfülltes verdichten sich zu Constantin Krahmers Dream Band, die beharrlich neue Konturen zieht oder unerwartete Zusammenhänge setzt. Mal verschmilzt das Ensemble zu einer überaus dichten Einheit, an anderen Stellen ragen einzelne Stimmen heraus und erfüllen spezielle Funktionen.

Besonders Gitarrist Bertram Burkert streut oft verstörende Momente ein, die in einem deutlichen Kontrast zum Gesamtkontext stehen und dem musikalischen Geschehen einen speziellen Drill geben. Sie reißen die Band aus ihrer sich in jedem Stück neu anbahnenden Komfortzone heraus, bevor diese überhaupt erst entstehen kann. Burkerts Soloparts sind bewusst gesetzte Zäsuren, die dem Album auch Form und Gliederung geben. Ohnehin arbeitet Krahmer gern mit jähen Wechseln und Kontrasten, wobei diese Gegensätze sich weniger in musikalischen Formen als in den situativen Haltungen der Mitwirkenden ausdrücken. Das Vertraute wird immer wieder mit ostentativ Unerhörtem aufgebrochen. „Diese Abwechslung in den Stücken ist mir sehr wichtig, denn sie löst einfach stärkere Empfindungen aus“, begründet Krahmer den Kontrastreichtum auf seinem Album.

In diesen bewusst gesetzten Gegensätzen steckt natürlich auch viel Gegenwartsbezug. Die Sehnsucht nach dem Vertrauten bricht sich permanent an der harten Realität. Constantin Krahmer will keine eindeutigen Botschaften aussenden, aber er ist natürlich ein Kind seiner Zeit, das mit sensiblen Antennen seine Umgebung einfängt, diese in der Musik destilliert und an seine Außenwelt zurückgibt. Er setzt sich nicht mit hochtrabenden Konzepten nach oben ab, sondern ist genau dort, wo seine Hörerinnen und Hörer auch sind. So ist es kein Zufall, dass der Albumtitel Visions Fugitives präzise den Gegensatz zwischen visionärer Prägnanz und nachhaltiger Flüchtigkeit austariert. Genau genommen geht der Titel auf einen Klavierzyklus des russischen Komponisten Sergej Prokofjew zurück, der Krahmer viel bedeutet. Entsprechend dem Titel sind die Stücke auf dem Album vergleichsweise kurz und in sich abgeschlossen, dafür in ihrer Kürze umso griffiger auf den kompositorischen und gespielten Augenblick fokussiert.

Visions Fugitives ist ein Ensemble-Album, und doch gibt das Klavier von Anbeginn den Ton an. Das ist freilich nicht weiter überraschend, denn der Leiter und Komponist dieser Einspielung, sprich Constantin Krahmer selbst, ist ja zugleich auch der Pianist. Er setzt sich mit seinem Instrument nicht hinter, sondern vor die Band, und das ist gut so. Krahmers markanter Ton ist mit seinen langen Bögen in der Lage, den Gesamtkontext zu umarmen und ihm Wege zu öffnen. Zwar spielt Krahmer absolut gruppendienlich, aber die Kompositionen sind nun mal auf dem Klavier entstanden, weshalb sein Profilpiano den Rahmen setzt, innerhalb dessen die mannigfachen Farbflächen bestmöglich zum Leuchten gebracht werden können.

Constantin Krahmers Septett-Album Visions Fugitives ist eine Kunstgalerie für die Ohren, konzipiert, komponiert und kuratiert von einem Meister der Klangfarbensymbolik und ins akustische Bild umgesetzt von sieben Malern mit prägnanter Pinselführung und klar definiertem Farbbekenntnis.
Wolf Kampmann

 

A piano sound settles with enigmatic vehemence. Gradually, other instruments join in and define their own unmistakable timbre, which they retain for the rest of the album. Pianist Constantin Krahmer, who lives in Rostock, is not only a composer, arranger and bandleader, but also reveals himself to be a shrewd sound painter on Visions Fugitives. The pieces of the album come together to form a suite with an intensity of color that has rarely been heard with the seeing ear. The color tones remain the same throughout the album, only the brushstrokes, the contrasts and the density of the paint application change from piece to piece. Sometimes it looks like a Joan Miró with very clear, delineated areas of color, sometimes like a Georges Seurat, composed of a sea of shimmering points of light, and sometimes like a William Turner, in which the colors osmotically merge into one another.

In order to achieve this synaesthetic effect, Krahmer called upon a seven-strong collective of musical personalities who, without exception, stand for a strongly formulated individual idiom. In addition to Krahmer, whose contoured accent is revealed from the very first notes of the album, the septet includes flutist Michael Heupel, alto saxophonist Luise Volkmann, saxophonist and clarinettist Sebastian Gille, trombonist Johannes Lauer, guitarist Bertram Burkert and drummer Leif Berger. The pieces are precisely composed and at the same time specifically tailored to the respective participants. Nevertheless, many new things have emerged in the process of making music together. Precisely because all of the participants have a distinct personality, each and every one of them found exactly the right place and the right gap during the two-day rehearsals, a subsequent concert and the final two-day recording session that made sense, indeed seemed almost imperative. „I really enjoy having the respective timbre of the musicians in my head while writing,“ Krahmer states with a smile.

The septet is made up of greats from the German jazz scene with whom Krahmer has either been personally connected for a long time or with whom he has wanted to play together for some time. The pianist has recorded several albums with drummer Leif Berger. He openly calls him his favorite drummer. Krahmer has also performed on stage or in the studio with Luise Volkmann, Sebastian Gille and Michael Heupel. However, he has never worked with Johannes Lauer and Bertram Burkert, but he appreciates their expressive playing style so much that he wanted to include them in the project. The direct relationships with the respective musicians result in a corresponding interplay of the familiar and the risky, which runs through the entire album. The fulfilled and the unfulfilled are condensed into Constantin Krahmer’s Dream Band, which persistently draws new contours or creates unexpected connections. Sometimes the ensemble merges into an extremely dense unit, at other times individual voices stand out and fulfill special functions.

Guitarist Bertram Burkert in particular often intersperses disturbing moments that stand in clear contrast to the overall context and give the musical events a special drill. They tear the band out of their comfort zone, which is emerging anew in each piece, before it can even develop. Burkert’s solo parts are deliberately placed caesuras that also give the album form and structure. In any case, Krahmer likes to work with abrupt changes and contrasts, whereby these contrasts are expressed less in musical forms than in the situational attitudes of the performers. The familiar is repeatedly broken up with the ostentatiously outrageous. „This variety in the pieces is very important to me, because it simply triggers stronger feelings,“ says Krahmer, explaining the wealth of contrasts on his album.

Of course, there is also a lot of reference to the present in these deliberately set contrasts. The longing for the familiar is constantly refracted through harsh reality. Constantin Krahmer does not want to send out any clear messages, but he is of course a child of his time who captures his surroundings with sensitive antennae, distils them in his music and returns them to the outside world. He does not set himself apart with grandiose concepts, but is exactly where his listeners are. It is therefore no coincidence that the album title Visions Fugitives precisely balances the contrast between visionary conciseness and lasting fleetingness. Strictly speaking, the title goes back to a piano cycle by the Russian composer Sergei Prokofiev, which means a lot to Krahmer. In keeping with the title, the pieces on the album are comparatively short and self-contained, but their brevity makes them all the more focused on the compositional and performed moment.

Visions Fugitives is an ensemble album, and yet the piano sets the tone right from the start. Of course, this is not surprising, as the director and composer of this recording, Constantin Krahmer himself, is also the pianist. He sits with his instrument not behind but in front of the band, and that is a good thing. Krahmer’s distinctive tone with its long bows is able to embrace the overall context and open up paths for it. Although Krahmer’s playing is absolutely group-serving, the compositions were created on the piano, which is why his profile piano sets the framework within which the manifold color surfaces can be brought to light in the best possible way.

Constantin Krahmer’s septet album Visions Fugitives is an art gallery for the ears, conceived, composed and curated by a master of sound color symbolism and translated into an acoustic image by seven painters with concise brushwork and a clearly defined commitment to color.

Label: Yew Records
Katalog Nr.: YEW004
Vertrieb: Yew Records

Besetzung:

Constantin Krahmer (p, synth, comp)

Luise Volkmann (as)

Michael Heupel (fl)

Sebastian Gille (ts, ss, acl)

Johannes Lauer (tb)

Bertram Burkert (g)

Leif Berger (dr)

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