Fried Dähn

Fried Dähn

„Now & Then“

VÖ-Datum: 26.03.2021

Der tiefergelegte Bass des Cellos bahnt sich den Weg durch die Nacht, ein Digeridoo-Sound brummelt archaisch dazu, bevor sich einer dieser leichthändigen Melodiebögen Fried Dähns über einen kniffligen Groove legt undalles bündelt, was den Tübinger E Werker und dieses Album auszeichnet. Er will bei der musikalischen Linienführung gar nicht verhehlen, dass er in den Siebziger Jahren musikalisch im Spagat zwischen Klassik, dem guten alten Jazzrock oder sperrigen Giganten wie einem Frank Zappa sozialisiert wurde. Doch Dähn, der als Mitglied des legendären Ensemble Modern mit „Yellow Shark“ das letzte zu Lebzeiten erschienene Frank-Zappa-Album einspielen durfte und seither mit unterschiedlichsten Projekten zwischen Jazz, Avantgarde, Weltmusik und Klassik starke Marker setzen konnte, ist auch stets süchtig nach Neuem.
Was ist im Bereich der elektronischen Musik möglich? Was lässt sich aus einem mitenwickeltenE-Cello mit modernster Technik am Instrument selbst herausholen? Welche Möglichkeiten bieten Loop-Maschinen, Sampler und viele andere technische Innovationen? Experimentierfreudig und ohne Limits bewegt sich der klassisch geschulte Cellist auf seinem im wahrsten Sinne des Wortes Solo-Album mitten hinein in den pulsierenden Kern eines musikalischen Universums, das sich in den vergangenen Jahren exponentiell erweitert hat.

„Last Order“ ist der Opener, der die Hörer fein strukturiert, durchsichtig und mit viel Finesse hineinzieht in diese Dähn’sche Welt. Hingetupftes und feinnervig Gestrichenes, angeraute Flageolett-Girlanden und perkussiver Bogenbetrieb münden tiefgründig in satten harmonischen Flächen. Eine Spiel-Eröffnung par excellence, die den Raum für den „Blues 54“ öffnet, einen Dähn-Klassiker, der in seinen Frühzeiten des Elektrocello-Erwachens entstanden ist. Zunächst weitet sich ächzend das Tor in dieses Stück, dann bahnen sich über einem mit viel Blues getränkten, schwergewichtigen 5/4 Takt schwingende Bögen ihren Weg, doppeln und verknüpfen sich in bester Ponty-Manier, um den Rock im Kammermusikalischen zu erwecken. Dieser entlädt sich dann furios in einem Solo im unverkennbaren Fried-Style mit reichlich Overdrive.

„Now & Then“ zeigt auch die Seite des die Grenzen auslotenden Soundschwellen-Überschreiters. „Secret“ ist eine Klangreise in außerordentliche Weiten, bisher unentdecktes Terrain. Mit dem elektrifizierten Cello entstanden Klangwelten für den Flug im Kopf und Abstraktionen, die genau den Raum bekommen, um sich voll entfalten zu können. Hier kann sich der Hörer ganz tief fallen lassen, bevor er vom „Z Tune“ und der Magie eines nordisch geprägten Melodiebogens aufgefangen wird, in der das Cello nicht nur wegen seines Tonumfangs der menschlichen Stimme sehr nahe kommt. Von einem wogend geschichteten Beat-Gefüge angetrieben bewegt sich „Z Tune“ im zeitlosen Vakuum hin zu einem Solo, in dem das Cello dem Moog-Synthesizer näher ist als einem Streichinstrument.

Mit „Shake It Easy“ geht Fried Dähn musikalisch auf Entdeckungsreise und landet irgendwo in Afrika. Das Cello spielt nicht nur den Bass so authentisch wie Richard Bona, es übernimmt kreischend auch den rituellen Chor oder das Solo der Kalebasse. Wichtiger noch: Er trifft das Lebensgefühl sehr genau. Freudig sprühend, schrill und quirlig, aber auch mit dem Wumms einer Riff-Serie mit reichlich Rockdrive und Soweto-Melancholie. Natürlich übernimmt der Streicher mit und ohne Bogen alle perkussiven Aufgaben mit den Fingern ganz nah am entsprechenden Afro-Puls.

Mit „Add“ lässt Fried Dähn sein Faible für zeitlos gute elektronische Musik aufscheinen, denn in der Vergangenheit sind zahllose seiner Kompositionen auch am Rechner entstanden. Hier sind es nun die behutsam gesetzten, zippenden und tänzelnden Sounds vom Drumcomputer, die unter einem wechselharmonischen Bassgefüge durchdribbeln und den Spielraum ganz weit öffnen. Minimal Music im komprimierten Format. Ja, wir haben jede Menge Zeit. Einfach loslassen, zuhören, loslassen. Das All, weite Horizonte, Fernsichten – die Bilderfolgen im Kopf wollen bei diesem tiefenentspannten Soundtrack für einen coolen Seelentrip nicht enden.

Von der Brandung des Meeres, mit dem Cello als Taktgeber, wird in „Out of One“ ein von schweren Riffs getragener Monolith langsam abgeschliffen. Auch hier zeigt der Meister der vier Saiten sein gutes Gespür für gut gemachten Rock, denn das erdige Gewicht des bebenden Fundaments wird durch eine federleichte Melodie in die ideale Balance gebracht. Und doch ist „Out of One“ mit seinen wenig mehr als drei Minuten viel mehr als nur eine Fingerübung oder Anspielung, denn auch das richtige Längenmaß zeichnet den guten Komponisten aus.

Zahllose Wandlungen hat „Friends“ wie auch andere der Kompositionen im Produktions- und Studioprozess erfahren, in dem sich Dähn selbst in Zeiten des Corona-Ausnahmezustands immer tiefer in den Kern seines eigenen Schaffens vorarbeiten konnte. Der ursprüngliche Plan, das Album im Studio aus Session-Fragmenten entstehen zu lassen, entwickelte sich zu einem höchst fokussierten Klang-Abenteuer. In „Friends“ schält sich aus einem pendelhaften Swing der verzahnten Cello-Striche und einem satten Bass-Lauf ein kopfnickender House-Beat, der den Weg für keyboardhafte Harmonieflächen und eine verhallte Melodie freilegt. Selbst hier ist alles Cello-basiert, in diesem zeitlupenhaften Club-Erlebnis.

Mit „Mesh“ begibt sich Dähn mitten hinein in die Melancholie der gregorianischen Gesangssätze, und wie so oft in seinen Stücken geben Basslinien die Richtung vor. Wehmut, Zweifeln, tiefe Einschnitte – all das wurde in diesem folkloristisch gefüllten Gittergewebe der intensiven Gefühle aufgefangen, um immer wieder von schrägen Effekten durchgerüttelt zu werden. Der Cellist mit derVorliebe für wunderschöne Melodien, ist immer auch der Realist, der seiner heilen Musikwelt Ecken und Kanten verpassen muss, damit sie in Waage gebracht ist. Gegen den Strich, doch niemals anti.

Es zeichnet Fried Dähn aus, dass er sein persönliches „Tubular Bells“-Album nicht mit einem der eigenen Klassiker abrundet, die bereits seit vielen Jahren ohrwurmhaft ein breites Live-Publikum erfreuen, sondern mit „Wölfe und Viren“. Das war ursprünglich live im Trochtelfinger WhiteFir Studio ohne Overdubs mit der Loopmaschine entstanden, wandelte sich allerdings über Wochen hinweg von einer reinen Improvisation zu einem dynamischen Riesen. Über einem peitschenden Beat werden unterschiedlichste Klang-Fragmente geschichtet, während sich ein Thema allein mit vier Noten zu einem Strom auswächst und die Solostimme mit reichlich Boost und Jazzfeeling das Open End des Albums einläutet. Das Finale von „Now & Then“, einer solistischen Momentaufnahme, die musikalisch vor allem die Zukunft im Blick hat und in dieser scheint für Fried Dähn alles möglich.
(Udo Eberl)

Label: flavoredtune records
Katalog Nr. FTR361909
Vertrieb: Membran

erhältlich als CD und Vinyl

Besetzung:

Fried Dähn (el. cello, comp)

Info als PDF-Datei:   Now-Then-1.pdf (183 Downloads)

Cover in hoher Qualität:   Cover-9.jpg (193 Downloads)

Bandfoto 1:   Foto.jpg (196 Downloads)

 

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